Politik

Ergebnisse der 4. Regierungskonsultationen

28.03.2023

Die Erleichterung war zu spüren: Bundeskanzler Olaf Scholz kam. Und er reiste mit einem relativ großen Teil des Kabinetts zu den Regierungskonsultationen mit den Niederlanden am 27. März in Rotterdam. Auch das ließ die Niederlande aufatmen, hatte man wenige Tage vor dem Treffen– wenn auch enttäuscht bis brüskiert – das Erscheinen von weniger deutschen Ministern für möglich gehalten.

Die Ampelkoalition hatte kurz zuvor in Berlin 20 Stunden am Tisch verbracht, um Konfliktthemen im Kabinett auszuräumen. Die Gespräche wurden für die Reise in die Niederlande unterbrochen. „Nein, ich habe nicht geschlafen", antwortete Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Pressekonferenz im Depot Boijmans van Beuningen auf die Frage eines Journalisten, „aber wie Sie sehen, geht es mir gut. Und ich freue mich auf einen schönen Abend!" Abgesehen, dass eine Absage schlichtweg kaum möglich gewesen wäre. Denn die vierte Auflage der deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen war lange geplant. Und viele der aktuell komplexen Fragen und Herausforderungen sind nicht nur innerhalb der Ampel-Koalition (Streit-)Thema, sondern auch beim Nachbarn Niederlande, wo auch Ministerpräsident Mark Rutte als Chef einer Vier-Parteien-Koalition Konflikte zwischen Regierungspartnern gewöhnt ist. Weitere Gemeinsamkeit beider Regierungschefs: das Wissen, dass sich viele dieser aktuellen Streitthemen und globalen Herausforderungen nur gemeinsam lösen lassen. Stichwort Energiewende.

Dank für niederländische Gaslieferungen

Letztlich brachte der Kanzler Wirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner, Außenministerin Annalena Baerbock, Justizminister Marco Buschmann, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Verkehrsminister Volker Wissing, Agrarminister Mahmut Özdemir und Kulturstaatsministerin Claudia Roth mit ins Museum mit nach Rotterdam. Und dankte als erstes Mark Rutte für die schnelle Hilfe der Niederlande seit Beginn des russischen Angriffskriegs mit Gaslieferungen. Die Niederlande hatten 2022 nach Kriegsausbruch von Groningen aus Gas nach Deutschland geliefert – trotz der innenpolitischen Debatte, weil die Gasförderung dort regelmäßig zu Erdbeben mit immensen Schäden an Häusern führt.

Gemeinsame Verteidigung

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen bekräftigten Scholz und Rutte noch einmal humanitäre und finanzielle Hilfe, die Lieferung von Waffen an die Ukraine zur Selbstverteidigung sowie die Aufklärung und Strafverfolgung der im Hoheitsgebiet der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen. Daneben soll die bilaterale Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich ausgebaut werden. So sei die bevorstehende Integration der niederländischen 13. Leichten Brigade in die 10. Panzerdivision der Bundeswehr ein weiterer Meilenstein der Zusammenarbeit, heißt es in der Regierungserklärung

Energiekorridore

Neben dem Krieg in der Ukraine war vor allem die Energiewende ein großes Thema – nicht zuletzt,  weil der Krieg und die damit einhergehenden Sanktionen die Suche nach einer neuen Energieinfrastruktur noch drängender gemacht hat. Eine engere Zusammenarbeit soll es beim schnelleren Ausbau von Offshore-Windenergie geben: „Wir werden gemeinsam ein regionales Ziel für den erforderlichen Offshore-Netzausbau einschließlich hybrider Interkonnektoren erarbeiten“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Ferner werde gemeinsam die multifunktionale Nutzung des Fahrwassers für die Schifffahrt und die Energieinfrastruktur im Wattenmeer geprüft. Zudem soll bei der Verlegung von Schifffahrtswegen zusammengearbeitet werden, um potenzielle Gebiete für Offshore-Windenergie sichern zu können.

Daneben wollen beide Länder enger an der synchronisierten Vernetzung der Wasserstoffinfrastruktur arbeiten, „und zwar unter Beteiligung von Übertragungsnetzbetreibern und potenziellen Großabnehmern von Wasserstoff“, heißt es. Erster Schritt: In einer gemeinsamen Sitzung zum Thema Wasserstoffinfrastruktur seien bereits die wichtigsten Diskussionspunkte ermittelt worden, in einem Folgetreffen Ende 2023 sollen die erzielten Fortschritte einer Bestandsaufnahme unterzogen und das weitere Vorgehen erörtert werden. „Wir haben unterstrichen, wie bedeutsam eine gut vernetzte Infrastruktur zwischen beiden Ländern für die Dekarbonisierung des Industrie- und Mobilitätssektors ist“, heißt es in der Erklärung, und weiter: „Wir werden gemeinsam allen Vorhaben den Weg ebnen, die die Einrichtung grenzüberschreitender Wasserstoffkorridore, darunter Delta Corridor, zum Ziel haben, und die für eine ehrgeizige Umsetzung nötigen Schritte ermitteln.“ Schon bis 2027 könnten die ersten beiden Interkonnektoren fertiggestellt sein.

Tennet

Fortschritte soll es zudem bei der Übernahme der Deutschland-Tochter des Stromnetzbetreibers Tennet geben. „Gemeinsames Ziel ist es, im Laufe dieses Sommers zu prüfen, ob eine für beide Seiten vorteilhafte Einigung erzielt werden kann“, heißt es in der Erklärung. Insidern zufolge könnte der Kaufpreis bei 30 Milliarden Euro liegen. Auf der Pressekonferenz wollte Scholz diese Summe nicht bestätigen, nur so viel: „Wenn bis 2030 rund 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt werden soll, bedeutet das, dass wir zig Milliarden in Stromnetz investieren müssen.“

Infrastruktur

Da Deutschland und die Niederlande eine lange gemeinsame Grenze haben, soll die grenzüberschreitende Infrastruktur verbessert und gegebenenfalls ausgebaut werden. Nicht allein die Infrastruktur von Straßen, Schienen und Schifffahrtswegen, sondern auch die Ladeinfrastruktur.

Handlungsfähigkeit der EU

Wie kann die EU zu einem Akteur werden, der handlungsfähiger ist – nach außen und innen. Das war ein weiteres Thema. Ziel beider Länder ist es, die strategische Autonomie der EU sowie ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit in Anbetracht der aktuellen geo-ökonomischen und globalen Herausforderungen. So wollen sich beide Länder für einen modernen EU-Haushalt einsetzen und zu einer effizienteren Beschlussfassung im Rat, etwa durch Anregung, von der konstruktiven Enthaltung Gebrauch zu machen.

Verfahrensbeschleunigung

Ebenfalls pushen wollen beide Länder die Führungsrolle der EU im Technologiebereich: Der Ausbau sauberer Technologien soll gefördert werden, wichtige Vorhaben beschleunigt und erleichtert werden, heißt es in der Erklärung. Erleichtert werden soll der Kapitalmarktzugang für (Jung-)Unternehmen und Start-ups und sowie Investitionen von Institutionen und aus dem Privatsektor.. „Unternehmen in der EU müssen für den erfolgreichen Übergang hin zu einer grünen und digitalen Wirtschaft Investitionen in noch nie dagewesenem Umfang tätigen. Es ihnen zu ermöglichen, die notwendigen Mittel aus dem Privatsektor einzuwerben, ist für die Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, der offenen Autonomie und eines anhaltenden Wachstums von zentraler Bedeutung“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

Noch einmal bekräftigt haben Deutschland und die Niederlande den deutsch-niederländischen Innovations- und Technologiepakt mit Zukunftsthemen wie Energiewende, Smart Industry und Schlüsseltechnologien. Und neue Bereiche der Zusammenarbeit, darunter nachhaltige Luftfahrt, Batterie- und Solartechnologie, sollen geprüft werden.

Günter Gülker, Geschäftsführer der Deutsch-Niederländischen Handelskammer, begrüßt besonders die Ankündigung beider Regierungen, Energiekorridoren weiter zu entwickeln, Verfahren zu beschleunigen und Technologiekooperationen aus zu bauen. „Das sind wichtige Punkte, die auch Thema des Offenen Briefs unserer Handelskammer im Vorfeld der Regierungskonsultationen waren.“

 

Text: Janine Damm

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