Politik

Neuwahlen in den Niederlanden: Alles, was Sie darüber wissen sollten

03.11.2023

In den Niederlanden hat die heiße Phase des Wahlkampfes begonnen. Am 22. November wählen unsere Nachbarn vorzeitig ein neues Parlament, nachdem kurz vor Beginn der Sommerferien die Regierungskoalition aus VVD, D66, CDA und ChristenUnie, bekannt als Rutte IV, wegen des Streit um die zukünftige Migrationspolitik auseinandergebrochen war.

Wie unterscheiden sich die Wahlen von den Bundestagswahlen? Welche neuen Parteien treten an, welche liegen aktuell in Führung und wer ist ihr deutsches Pendant? Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten und Entwicklungen:

Premierminister, König, Parlament: Wer hat das Sagen?

Für Deutsche ein ungewohntes Konzept: Die Niederlande sind eine konstitutionelle Monarchie, in der König Willem-Alexander als zeremonielles Staatsoberhaupt fungiert. Die Entscheidungsgewalt hat jedoch die gewählte Regierung im Austausch mit den beiden Parlamentskammern. Die Regierung ist vergleichbar mit der Deutschen Bundesregierung, die Gesetzte durch Abstimmungen im Bundestag und Bundesrat beschließt. Das niederländische Pendant zu Bundeskanzler Olaf Scholz ist der Premierminister / die Premierministerin, die zugleich die vorsitzende Person der meistgewählten Partei der Parlamentswahlen ist. Falls die VVD (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) dieses Mal wieder das Regierungsoberhaupt stellt, wäre Spitzenkandidatin Dilan Yeşilgöz-Zegerius die erste Frau an der Spitze einer niederländischen Regierung.

Erste oder Zweite Kammer – wo liegt der Unterschied?

Das niederländische System hat zwei Kammern: Die Eerste Kamer (Erste Kammer) setzt sich aus Mitgliedern der Regionalparlamente aus den zwölf Provinzen sowie aus Vertretern der karibischen Inseln zusammen. Die Tweede Kamer (Zweite Kammer), die am 22. November bei den Parlamentswahlen gewählt wird, wird über eine proportionale Sitzverteilung an Hand der insgesamten prozentualen Stimmenabgaben geformt. Die Mitglieder der Zweiten Kammer sind somit direkt gewählt und vergleichbar mit dem Bundestag. In der Zweiten Kammer findet demnach die politische Auseinandersetzung statt, die Erste Kammer fungiert als Kontrollinstanz und prüft, ob Gesetze mit bestehenden Normen und internationalem Recht vereinbar sind. Gesetze müssen von beiden Kammern angenommen werden.  

Welche Parteien gibt es – und gibt es ein Pendant zu den deutschen?

Die Parteilandschaft in den Niederlanden ist wesentlich breitgefächerter als in Deutschland. Bei den letzten Wahlen haben sich 89 Parteien registriert und am Ende konnten die Wähler sich zwischen 37 Parteien entscheiden. Der Grund für die große Parteienvielfalt sowohl auf dem Stimmzettel als auch im Parlament ist, dass es in der Tweede Kamer keine prozentuale Grenze wie die 5-Prozent-Hürde in Deutschland gibt. Theoretisch genügen für einen Sitz im Parlament 0,67% der Stimmen.

Dennoch gibt es auch in den Niederlanden stärkere Parteien und Fraktionen. Auffallend ist, dass die Parteien sowohl in ihren wirtschaftlichen Positionen als auch in ihren gesellschaftlichen Ansichten stark variieren können. Es gibt keine typisch linke oder rechte Einstellung. Die rechtspopulistische PVV (Partei für die Freiheit) hat so z.B. eine gesellschaftlich stark konservative Einstellung, während sie ökonomisch liberal-linke Programme präferiert. 

Eine klassische Volkspartei wie die CDU in Deutschland ist die VVD, die mit ihrer konservativen-wirtschaftsliberalen Position in Deutschland einer Mischung aus CDU und FDP entsprechen würde und in der Vergangenheit in den Niederlanden immer wieder den Premierminister stellte. Auch zu den größeren Parteien gehört die sozialdemokratische PvdA (Partei der Arbeit), die seit ihrem Bestehen 1946 ununterbrochen im Parlament vertreten war, in den letzten Jahren jedoch deutlich weniger Wähler mobilisieren konnte. Zuletzt gewann die PvdA nur noch 5,73%, nach 24,8% im Jahr 2012. Daneben gibt es mit der CDA (Christlich-Demokratisches Appell), den Christdemokraten der rechten Mitte, die in der Vergangenheit mehrmals an Regierungen beteilt war. Seit 2010 hat die CDA jedoch kontinuierlich Wählerschaft verloren und liegt aktuell bei 2 bis 3 Prozent. Die Demokraten 66 (D66), bei der vergangenen Parlamentswahl erstmals zweitstärkste Kraft, liegen derzeit ebenso weit hinten wie die christliche Partei Christenunie (CU) mit ihren konservativen, teils sozialen Positionen.

Die Newcomer

Im März 2023, bei den letzten Wahlen der Eerste Kamer, dem niederländischen Senat, war der große Sieger die neu-gegründete Partei BBB (Bauer-Bürger-Bewegung). Das politische Umfeld war in der Zeit stark aufgeheizt wegen des Themas Stickstoff-Grenzen. Denn die niederländischen Bäuerinnnen und Bauern sollten, so das Vorhaben, bald zwangsweise weniger Tiere halten und Land an die Regierung verkaufen, um die nationalen Stickstoffwerte zu senken. Dieses Senken der Stickstoffe wiederum war keine Vorgabe von Rutte, sondern beruht auf einem richterlichen Beschluss. Wie dem auch sei: Dies sorgte für viel Proteste und Unmut, besonders unter der ländlichen Bevölkerung.

Der Wahlsieger BBB versprach die Pläne zu stoppen und den Landbau nachhaltig zu sichern. Bei den anstehenden Neuwahlen scheint die Popularität der Bewegung jedoch abgeflacht zu sein, was auch daran liegen könnte, dass nun andere Themen im Fokus der politischen Debatte liegen: Wohnungsnot, Migrationspolitik und Wohlstandssicherung bzw wirtschaftliche Stabilität.

Nieuw Sociaal Contract

So heißt nämlich der aktuelle Spitzenreiter der Wahlprognosen unter Leitung des früheren CDA-Mitglieds Pieter Omtzigt. Seine neugegründete konservative Partei NSC - Nieuw Sociaal Contract (Neuer Gesellschaftsvertrag) basiert auf Omtzigts gleichnamigem Buch, das er 2021 veröffentlichte. Inhaltlich steht er für die Mitte der Gesellschaft und inkludiert auch Forderungen nach strikterer Migrationspolitik. Ein potenzieller Koalitionspartner wäre damit aus inhaltlicher Sicht sicherlich die VVD.

Obwohl er nach dem Scheitern von Rutte IV ankündigte, bei einem Wahlerfolg seiner Partei nicht Premierminister werden zu wollen, scheint sich seine Meinung im Zuge der näherkommenden Neuwahlen zu ändern und er ist somit ein möglicher Anwärter auf den Posten des Regierungschefs - auch wenn er sich auch wenige Wochen vor der Wahl noch immer nicht dazu äußern will.

Neu: Parteizusammenschluss der Grünen und Sozialdemokraten

Eine weitere Besonderheit im laufenden Wahlkampf ist der Zusammenschluss aus den Parteien GroenLinks und PvdA, die bereits im Vorfeld damit liebäugelten, bei einer anstehenden Wahl gemeinsam anzutreten. Die Ankündigung katapultierte das neue Parteibündnis GroenLinks-PvdA in die Riege der 3 Spitzenreiter mit VVD und NSC.

Ein weiterer Bonuspunkt für diese neue Zusammenarbeit aus niederländischen Grünen und Sozialdemokraten könnte die Rückkehr des in den Niederlanden bereits bekannten Politikers Frans Timmermans sein. Timmermans war früher bereits als Außenminister in der niederländischen Politik aktiv und wechselte zwischenzeitlich in die EU als geschäftsführender Vize-Präsident der Europäischen Kommission und war zeitgleich Kommissionär des Europäischen Green Deals. Seine Rückkehr als Spitzenkandidat in seiner Heimat rechnen ihm viele positiv an.

Mark Rutte - das Ende einer Ära

Dass die vorgezogenen Neuwahlen diesmal auch international große Beachtung finden, liegt daran, dass der langjährige Premierminister Mark Rutte nicht mehr als Vorsitzender der VVD angetreten ist und seinen Abschied aus der nationalen Politik verkündet hat. Den Rekord des am längsten regierenden Premiers hat er bereits geknackt und räumt nach 13 Jahren den Posten als Regierungsoberhaupt. Damit endet eine Ära.

Und wer liegt aktuell in Führung?

Es zeichnet sich seit Wochen ein Kopf-an Kopf Rennen zwischen NSC, VVD und PvdA-Groen Links ab. Alle drei Fraktionen liegen in aktuellen Wahlprognosen zwischen 16-18%. Leicht in Führung liegt derzeit Omtzigt mit seinem NSC. Aber auch Yeşilgöz und Timmermans können hoffen. Es ist zudem zu erwarten, dass mindestens zwei dieser drei Parteien Koalitionspartner werden, um die notwendige Mehrheit von 76 Sitzen zu erreichen. 

Was bereits jetzt positiv ist: Mit der Popularität von NSC und dem Zusammenschluss GroenLinks-PvdA in den aktuellen Prognosen zeichnet sich eine neue starke Mitte ab - und kein Erstarken radikaler Rechter. Im Gegeneteil: Extremistische Parteien, so die aktuellen Prognossen, verlieren Wähler.

Es bleibt spannend und die ersten Entwicklungen sind bereits am Abend vom 22. November zu erwarten. Hierzu organisiert die DNHK einen eigenen Wahlabend in Düsseldorf zum Live-Mitfiebern. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme. 

Weitere Infos zum Event und zur Anmeldung finden Sie hier

 

 

Text: David Böhm und Janine Damm

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