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Mehr Fortschritt wagen - das plant die neue Koalition

25.11.2021

Wochenlang drang nichts nach draußen. Wie bei einem Geheimbund brüteten SPD, Grüne und FDP über ihren Plänen für die nächste Bundesregierung. Nun veröffentlichten sie in Berlin ihr Ergebnis. Ein erster Überblick.

Rund 70 Tage wurde verhandelt. Bis zuletzt beharkten sich die Ampelkoalitionäre um Klimaschutz, Finanzen und Ministeriumsverteilung, bis am 24. November der Koalitionsvertrag vorgestellt wurde. Bei den zentralen Zukunftsthemen planen die Koalitionäre grundlegende Reformen.

Für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit

Das Motto der neuen Regierung zieht sich wie ein roter Faden durch das Vertragswerk. Die Schuldenbremse wird ab 2023 wieder eingehalten; dafür wird die Regierung Bundesbehörden und Gesellschaften wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ermächtigen, Schulden aufzunehmen. Christian Lindner sagte dazu, man wolle „privates Kapital entfesseln“ für die Dekarbonisierung und die Modernisierung des Staates.

Deutschland digitalisiert sich und seine Infrastrukturen

Lang genug galt Deutschland als Nachzügler bei der Digitalisierung. Jetzt aber will die größte Volkswirtschaft in Europa aufholen. Digitalisierung wird auf den 177 Seiten alleine 63-mal notiert und spielt bei allen großen Themen eine zentrale Rolle. Vor allem bei der Entbürokratisierung und der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren aber auch bei der Mobilität, Gesundheit, Bauvorhaben und der Energiewirtschaft, im Bildungswesen und bei der Verwaltung werden umfangreiche Ressourcen für Schnittstellen, gemeinsame Datennutzung und -auswertung bereitgestellt. Die FDP wird das Ministerium für Verkehr und Digitalisierung übernehmen und eine neue CO2-basierte Kfz-Steuer und Lkw-Maut einführen. Der neue Minister wird zudem einen neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 vorbereiten, der bei Straßen stärker auf den Erhalt als den Ausbau ausgerichtet sein wird. Die Infrastruktureinheiten der Deutschen Bahn (DB Netz, DB Station und Service) sollen innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt werden. Verkehrsunternehmen und Mobilitätsanbieter im Öffentlichen Personenverkehr sollen Echtzeitdaten bereitstellen, um die intermodale Mobilität zu fördern sowie einheitliche Buchungs- und Bezahlsysteme zu etablieren.

Klima und Energie in einem Superministerium

Klima bringt es sogar auf 198 Erwähnungen und ist ebenso ein Querschnittsthema, für das voraussichtlich Robert Habeck von den Grünen in einem Superministerium aus Klima, Wirtschaft und Energie verantwortlich wird. Das erst kürzlich novellierte Klimaschutzgesetz will die Koalition bereits 2022 erneut reformieren und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen. Der Kohleausstieg wird nun auf 2030 vorgezogen. Mit seiner Klima- und Energiepolitik möchte Habeck Deutschlands Beitrag zur Erreichung des 1,5 Grad Pfades gemäß des Pariser Klimaschutzabkommens sicherstellen. Um den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen, will er den Genehmigungsaufwand reduzieren. Zudem sollen künftig auch externe Partner und Projektanbieter für Genehmigungsverfahren beispielsweise beim Repowering von Windkraftanlagen oder auch dem Ausbau von Bürgerstromprojekten zum Einsatz kommen. Ein Update auf die nationale Wasserstoffstrategie soll bis 2030 dafür sorgen, dass eine Elektrolysekapazität von rund 10 Gigawatt entsteht.

Gesundheitssystem wird reformiert, Cannabis teillegalisiert

Bald laufen nicht mehr die Ärzte und ihre Patienten, sondern die Daten. Das zumindest will die Koalition mit der elektronischen Patientenakte und dem E-Rezept nun umsetzen, wobei für Patienten eine opt-out-Option erhalten bleibt. Die Koalitionäre wollen Dokumentationsaufgaben digitalisieren, die Pflege sowie Krankenhausplanung und -finanzierung reformieren. Zudem wird ein künftiger SPD-Gesundheitsminister die Prävention stärken und ein komplettes Werbeverbot für Nikotin, Alkohol und Cannabis durchsetzen. Denn es wird eine kontrollierte Cannabisabgabe über lizensierte Stellen ermöglicht, was vor allem von der Parteijugend seit Jahrzehnten gefordert wurde. Modelle zum Drug-Checking und Maßnahmen der Schadensminderung sollen aber einen krankmachenden Drogenkonsum begrenzen.

Spielen die Parteimitglieder mit?

Wessen Handschrift den Koalitionsvertrag prägt, ob sich Grüne, FDP oder die SPD mehr durchgesetzt haben, lässt sich nicht klar beantworten. Nun haben die Parteien das letzte Wort, was in den nächsten zehn Tagen geschehen soll. Auf der Pressekonferenz gestern in Berlin war viel die Rede von Verantwortung, Vertrauen und Respekt sowie Demut und Mut angesichts der großen Herausforderungen. Denn die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft und die neue Regierung haben keine andere Wahl, als mutig und gemeinsam die Zukunft Deutschlands zu gestalten. Vermutlich hat der künftige Kanzler recht, als er sagte: „Hier wächst zusammen, was zusammenpasst.“

Text: Christian Gasche

 

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